Gleich drei touristische Juwele liegen
unweit von Tokio und laden zu ein- oder zweitägigen
Ausflügen ein: Nikko mit dem Tosho-Schrein, Kamakura,
die Hauptstadt der Militärherrscher im 12. und 13.
Jahrhundert, und der Fuji-san, der wohl schönste Vulkankegel
der Welt mit seinen fünf Seen und dem Hakone-Gebiet
voller heißer Quellen.
Kamakura
Wer der weltstädtischen Hektik Tokios für eine
Weile entfliehen möchte, dem sei ein Ausflug in das
nur eine Zugstunde südlich gelegene Kamakura empfohlen.
1192 hatte Shogun Minamoto Yoritomo den Regierungssitz von
Kyoto in das malerische, von einer Hügelkette eingefaßte
Städtchen (heute ca. 170000 Einwohner) an der Sagami-Bucht
verlegen lassen. Bis 1333 war Kamakura Zentrum der politischen
und militärischen Macht. Von seiner einstigen Größe
zeugen noch heute mehr als 80 Schrein- und Tempelanlagen.
Steht nur ein Tag zur Verfügung, sollte man seine Besichtigungsaktivitäten
auf fünf der Hauptattraktionen beschränken. Theoretisch
lassen sich die Entfernungen zu Fuß überbrücken,
es ist aber ratsam, die Kosten für Bus oder Taxi nicht
zu scheuen (am Bahnhof gibt es auch einen Fahrrad-Verleih).
Der erste halbe Kilometer liegt vor einem, wenn man am Kamakura-Bahnhof
angekommen ist: Eine mit Zierkirschen bestandene breite Allee
führt zum Hauptheiligtum Kamakuras, dem rotlackierten
Hachiman-Schrein (Hachiman-gu), dem als Kriegsgott verehrten
Kaiser Ojin (3.Jh.) gewidmet. Der Schrein wurde 1063 gegründet
und 1191 an seinen jetzigen Standort verlegt; die heutigen
Gebäude stammen aus dem Jahre 1828. Über 800 Jahre
hingegen soll der Ginkgo-Baum zur Linken der Schreintreppe
zählen, Zeuge einer grausigen Bluttat: Am 12.Februar
1219 wurde hier der letzte Minamoto-Shogun, Sanetomo, von
seinem eigenen Neffen, dem Hohepriester des Schreins, ermordet.
Ebenso blutrünstig ist die Geschichte, deren Schauplatz
das Gelände des 1624 errichteten Wakamiya-gu, zur Rechten
der Hachiman-gu-Treppe, gewesen sein soll: Der Shogun Yoritomo
haßte seinen Halbbruder Yoshitsune, den eine zärtliche
Romanze mit der Tänzerin Shizuka verband. Der Shogun
ließ Shizuka entführen, zwang sie, auf dem Schreingellände
für ihn zu tanzen, und befahl schließlich, ihren
Sohn - der Vater war Yoshitsune - zu töten.
Eines der eindrucksvollsten Feste Kamakuras ist das Hachiman-gu-Schreinfest
am 15. und 16. September; Höhepunkt sind die Yabusame-Vorführungen:
Von galoppierenden Pferden aus schießen armbrustbewaffnete
Reiter in historischen Kostümen ihre Pfeile ab.
Ein friedvolles Ambiente bietet der am Fuß des Kinubari-Hügels
gelegene Hokoku-Tempel (Hokoku-ji) oder, genauer gesagt,
der Bambus-Hain im hinteren Teil der sonst wenig spektakulären
Anlage. Ein idealer Anlaufpunkt auch bei regnerischem Wetter:
Besonders dann schafft das farbliche Zusammenspiel von Bambusstämmen
und Blätterwerk eine sehr "japanische", fast
entrückte Stimmung. Vertieft wird diese durch einen
Schluck dickflüssigen grünen Tees, der am Ende
des Gartens unter roten Lackschirmen eingenommen werden kann.
Die berühmteste und buchstäblich größte
Sehenswürdigkeit Kamakuras ist der Daibutsu, der 'Große
Buddha', mit 12m Höhe und einem Gewicht von 93t die
zweitgrößte Buddhastatue des Landes. Nur der Buddha
des Todai-ji in Nara ist noch größer. Im Gegensatz
zur Nara-Statue aber ist der Kamakura-Daibutsu, 1251 in Bronze
gegossen, nicht von einer schützenden Hülle umgeben;
die ursprüngliche Halle wurde 1495 von einer Sturmflut
hinweggespült. Seitdem thront der Daibutsu gelassen
(die Haltung seiner Hände symbolisiert die buddhistische
Idee des unerschütterlichen Glaubens) und majestätisch
im Freien - und wirkt wohl noch imposanter als in einem geschlossenen
Raum.
Glaubt man der Legende, dann hat die elfköpfige vergoldete
Kannon-Statue im nahegelegenen Hase-Kannon-Tempel (Hase-dera)
ihre Heimstatt selbst gewählt: Nachdem der Mönch
Tokudo 721 in der Gegend von Nara aus einem Kampferbaumstamm
zwei Standbilder geschnitzt hatte, wurde eines der beiden
dem Meer überantwortet. In Kamakura soll es - mit 9,3m
Höhe das größte Holzstandbild Japans - wieder
an Land gespühlt worden sein. Auf halbem Weg zum Tempel
hinauf steht man plötlich vor einer wahren Heerschar
von Statuetten des Kindergottes Jizo, geschmückt mit
Lätzchen und Mützchen. Eine jede steht für
die Seele eines verstorbenen oder ungeborenen (d.h. abgetriebenen)
Kindes - ein seltsam rührender Anblick. Vom Tempel bietet
sich eine unvergleichlich schöne Aussicht.
Wer für Souvenirs schon mehr Geld ausgegeben hat als
vorgesehen (Kamakura ist berühmt für kostbare Lackschnitzereien,
Kamakura-bori), kann sein Glück im Zeniarai-Benten-Schrein
(Zeniarai-benzaiten) versuchen. Denn der Quelle, die in einer
Höhle auf dem Schreingelände munter sprudelt, wird
eine wundersame Kraft zugeschrieben: Wäscht man sein
Geld in ihrem Wasser, so beginnt es unweigerlich, sich zu
vermehren! Diese Kunde ist Minamoto Yoritomo zu verdanken;
ein Gott soll ihm im Traum das Geheimnis der Quelle verraten
haben.
Weitere Shenswürdigkeiten: Der zen-buddhistische Tokei-Tempel
(Tokei-ji) wurde 1285 als Zufluchtsort für Frauen gegründet
und trägt daher den Beinamen "Scheidungstempel".
Im Gegensatz zu den Männern, die ihre Ehe jederzeit
auflösen konnten, stand japanischen Frauen früher
kein Recht auf Scheidung zu. Nur wer sich zu den Nonnen eines
Tempels flüchtete und mindestens zwei bis drei Jahre
im Kloster verbrachte, galt als geschieden. Im benachbarten
Jochi-Tempel (Jochi-ji), neben dem Engaku-ji, Kencho-ji,
Jufuku-ji und Jomyo-ji einer der fünf großen Zen-Tempel
Kamakuras und ehemals eine beeindruckende Anlage, ist heute
nur noch eine Jizo-Figur des Bildhauers Unkei aus dem 13.Jh.
sehenswert.
Die Zeiten wesentlich besser überstanden hat die Anlage
des Engaku-Tempels (Engaku-ji), dessen Reliquienhalle aus
dem Jahre 1285 das größte zen-buddhistische Gebäude
Japans ist. Bei der in einem Quarzschrein aufbewahrten Reliquie
soll es sich um einen aus China stammenden Zahn Buddhas handeln.
Ist man im Frühsommer in Kamakura, lohnt sich auch ein
Besuch des Meigetsu-Tempels (Meigetsu-in). Besser bekannt
ist er unter dem Namen Ajisai-Tempel: Ajisai - weiße
und blaue Hortensien - blühen im Juni in verschwenderischer
Fälle auf dem Tempelareal.
Kencho-Tempel (Kencho-ji). Der größte der fünf
großen Zen-Tempel Kamakuras wurde 1253 für einen
chinesischen Priester errichtet, den politische Wirren in
seiner Heimat nach Japan vertrieben hatten. Die vier riesigen
Wacholderbüsche aus China soll er eigenhändig gepflanzt
haben. Zu den Tempelschätzen gehören eine Bronzeglocke
von 1255 und eine meisterhafte Holzstatue des fünften
Kamakura-Shogun, Hojo Tokiyori. Vom Tempel führt ein
Pfad den Hügel aufwärts zum Shinto-Schrein Hanzobo.
Die kleine Mühe lohnt sich, denn es eröffnet sich
ein prächtiger Ausblick auf Stadt und Meeresküste.
Ist man zufällig um den 14. Juli in Kamakura, könnte
man einen Abstecher nach Enoshima erwägen: Das Schreinfest
in der Benten-Grotte, bei dem eine Statue ins Meer hinausgetragen
wird, ist eine grandiose Touristenattraktion.
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