Der Fernsehturm auf dem Tempelgelände
Der mächtigste Tempel der Edo-Zeit und das höchste
Bauwerk des heutigen Tokio liegen nur wenige Schritte voneinander
entfernt. Kein Wunder, denn die Eiffelturmkopie steht auf
Grund und Boden, der einst den buddhistischen Herren des
Tempels gehörte. Mit einem anschließenden Abstecher
zum Senkaku-ji, zu den Gräbern der 47 Samurai, lassen
sich mehr als 250 Jahre Stadtgeschichte in nur einen halben
Tag komprimieren.
Die Meiji-Restauration 1868 brachte das Ende der Militärherrschaft
der Shogune, die über 600 Jahre lang die Geschicke
des Landes gelenkt hatten, während das Kaiserhaus
ein Marionettendasein fristete, ein höfisches Leben
voller Raffinesse, doch politisch machtlos.
Zunächst galt es, die neugewonnene Macht zu stabilisieren.
Die den Tokugawa, die die Macht während der letzten
250 Jahre der Shogunatsregierung innehatten, nahestehenden
buddhistischen Tempel mußten ihre Reichtümer
abliefern, Grund und Boden wurde beschlagnahmt. Der reichste
und mächtigste unter ihnen war der Zojo-ji, Familientempel
der Tokugawa und Grabstätte der verstorbenen Shogune.
Nach der Enteignung verwandelte die Meiji-Regierung den
Großteil des Tempelgeländes in Tokios ersten öffentlichen
Park, den Shiba-koen; Tempelanlagen und Mausoleen blieben
erhalten. Das Erdbeben von 1923 und die Luftangriffe im
Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäude und Parkanlagen.
Ein Luxushotel, ein Golf-Abschlageplatz, eine Bowling-Halle
u.ä. entstanden. Am bemerkenswertesten aber war das,
was den Stadtplanern 1958 einfiel: Tokio brauchte ein Wahrzeichen,
und „geschichtsbewußt“ wurde es unweit
des Zojo-ji errichtet, der mehr als zwei Jahrhunderte lang
mit seiner Pracht und Schönheit die Pilger angezogen
hatte. Doch die Gräber der Shogune waren im Weg. Und
so wurden kurzerhand die einbalsamierten Militärherrscher
exhumiert, von Wissenschaftlern begutachtet und in Gräbern
hinter der Haupthalle des Tempels wieder beigesetzt!
Zojo-Tempel (Zojo-ji)
Man schrieb den ersten Tag des achten Monats im Jahre 1590.
General Toyotomi Hideyoshi war es nach Jahrzehnten kriegerischer
Auseinandersetzungen zwischen den Daimyo, den regionalen
Herrschern, gelungen, das Land zu einen. Tokugawa Ieyasu
hatte an der Seite des neuen starken Mannes den alles entscheidenden
Feldzug gegen die Hojo-Familie erfolgreich abgeschlossen.
Nun zog er in Edo ein, Teil der Belohnung, die Hideyoshi
ihm für treue Dienste hatte zukommen lassen. Es war
ein typischer Augusttag, heiß und schwül. Müde
und durstig nach dem mühsamen Weg, verlangte es den
Feldherrn nach Ruhe und Erfrischung. Man war mittlerweile
in Kojimachi angekommen, im Westen der Burg. Und welch
ein Glück: Am Weg lag ein Tempel, der Zojo-ji der
Jodo-Sekte. Der Abt des Tempels reichte dem Feldherrn Tee
und die beiden verfielen in ein langes Gespräch. Der
Tag ging zur Neige und Tokugawa Ieyasu, selbst Anhänger
der Jodo-Lehre und Bewunderer des Sektenführers Zon-no,
hatte nicht nur Körper und Geist erfrischt, die Tokugawa
hatten ihren Familientempel gefunden.
1598 zog der Tempel nach Shiba um, das Grundstück
war ein Geschenk des Feldherrn. Neben dem Zojo-ji, der
damit zum administrativen und geistigen Zentrum der Jodo-Sekte
wurde, entstanden 48 angegliederte Tempel und mehr als
150 Schulgebäude. Über 3000 Novizen der mehr
als 6000 Jodo-Tempel im Lande bereiteten sich hier auf
ihre Priesterweihe vor. Die Gebäude trugen das Familienwappen
der Tokugawa, die verstorbenen Shogune wurden im Zojo-ji
zur Ruhe gebettet. Die politische Macht der Tokugawa hatte
ihre Entsprechung im Religiösen gefunden.
Von dieser Pracht ist fast nichts übrig geblieben.
Zeugen der Vergangenheit sind eine Handvoll Tempeltore,
die Feuer, Erdbeben, den Zweiten Weltkrieg, aber auch politische
Entscheidungen und Stadtbaupläne überdauert haben.
Doch unter diesen Toren, fünf an der Zahl, ist eines,
das die Fahrt hierher lohnt: Das San-gedatsu-mon, oder
kurz San-mon genannt. Es ist das "Tor der dreifachen
Erlösung"; jedes der Portale symbolisiert einen
der drei Schritte auf dem Weg ins Nirvana. Vorbild für
das 1612 erbaute San-mon, das sich durch Ruhe und Harmonie
so wohltuend vom bunt-grellen Stil abhebt, den die Tokugawa-Shogune
sonst bevorzugten, ist das Eingangstor des berühmten
zen-buddhistischen Tofuku-ji (1380) in Kyoto. Die Maße:
19,5m lang, 21m hoch und 9m tief.
Zu den fünf Toren - das Dai-mon, auf dem Weg vom S-Bahnhof
Hamamatsucho, ist ein schlichter Neubau des ehemals majestätischen
Haupteingangs zur Tempelanlage - gehört auch das Kuro-mon,
das "Schwarze Tor", südlich (links) des
San-mon; beide sind durch einen restaurierten Teil der
Originalmauer miteinander verbunden. Angesichts des heutigen
eher traurigen Zustands des Kuro-mon ist nicht mehr ganz
nachvollziehbar, wie es in der zweiten Hälfte des
17.Jhs. zu seinem Namen gekommen ist; doch damals war es
mit einer glänzenden schwarzen Lackschicht überzogen.
Noch etwas weiter südlich steht das Eingangstor zum
ehemaligen Mausoleum des zweiten Tokugawa-Shogun, Hidetada.
Es ist ein Yatsuashi-mon, ein "Acht-Beine-Tor",
dessen Kupferdach sich jedoch bei genauerem Hinsehen auf
12 Pfeiler stützt (die mittleren vier Pfeiler werden
nicht mitgezählt). Die Miene der beiden finster dreinschauenden
Götter soll sich übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg
noch weiter verdunkelt haben, weil ihnen ihre neue Aufgabe
nicht besonders gefällt: Anstelle der Grabstätte
von Hidetada bewachen sie nun die Shiba Driving Range,
einen Golf-Übungskäfig.
Die beiden anderen Überbleibsel, nördlich (rechts)
des San-mon, sind in noch schlechterem Zustand. Das Grab-Tor
für den 7.Shogun Ietsugu ist eingezäunt und kaum
zu sehen. Es bedarf eines Umweges quer über den Parkplatz
des Prince Hotel, will man sich das Tor genauer anschauen.
Am eindrucksvollsten spiegelt sich das Schicksal des Zojo-ji
wohl am Onari-mon wider. Einst betraten die Tokugawa-Herrscher
durch dieses Tor die Tempelanlage, heute ist es vernachlässigt
und bräuchte dringend
eine frische Lackschicht. Während die 1974 fertiggestellte
Haupthalle des Zojo-ji, eine Stahl-Beton-Kontruktion, nicht
zum längeren Verweilen einlädt, sollte man die
Tempelglocke gleich hinter dem San-mon näher betrachten.
Mit 15t und einer Höhe von 3,3m ist sie die schwerste
und größte Bronzeglocke Ost-Japans. Man sagt,
sie sei selbst in Kisarazu (Präfektur Chiba), auf
der anderen Seite der Tokio-Bucht, noch klar zu hören.
Dies ist unter anderem den Kurtisanen des Shogun zu verdanken;
denn, so geht die Sage, die Damen spendeten ganz uneigennützig
ihren Haarschmuck, als die Glocke 1671 gegossen wurde,
um die Qualität der Bronze zu verbessern.
Wer Sylvester in Tokio verbringt, kann sich mit eigenen
Ohren vom Wohlklang der Glocke überzeugen: Kurz vor
Mitternacht ertönt sie ganze 108mal; Joya-no-kane
nennt man die buddhistische Zeremonie, bei der mit den
Glockenschlägen die 108 bösen Leidenschaften
der Menschen ausgetrieben werden sollen.
Das Wasserbecken gegenüber der Glocke ist Teil der
ehemaligen Grabstätte von Tsunashige, dem 3.Sohn des
3.Tokugawa-Shogun Iemitsu. Tsunashige, Herr von Kofu und
Vater des 5.Shogun, ist einer der Leidtragenden der Gräberverlegung
nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auf dem kleinen Friedhof hinter der Haupthalle - wenn man
sich auf die Zehenspitzen stellt, kann man mit Mühe
die Grabsteine sehen - liegen außer Tsunashige der
zweite, sechste, siebte, neunte, zwölfte und vierzehnte
Shogun, Sugenin (Gemahlin des 2.Shogun), Keshoin (Mutter
des 5.Shogun) und Seikanin-no-miya (Gattin des 14.Shogun).
In dem kleineren Gebäude vor dem Friedhof (neben der
Haupthalle), der Ankokuten (‚Halle für die Sicherheit
der Nation’), wird ein Kleinod aufbewahrt, das der Öffentlichkeit
nur am 15.Januar, 15. Mai und 15.September gezeigt wird:
Die Statue des ‚Schwarzen Amida-Buddha’, vor
der Tokugawa Ieyasu täglich gebetet haben soll.
Spätestens jetzt fallen dem Besucher auch die roten
Kapuzen und bunten Windrädchen auf, mit denen die
kleinen Steinpuppen geschmückt sind, die in Reih und
Glied an der Nordmauer der Tempelanlage stehen. Es sind
Jizo, Wächter über die Seelen verstorbener Kinder.
Jede dieser Jizo-Puppen ist dem Andenken eines Kindes gewidmet.
Tokio-Turm
Die 333m hohe Stahlkonstruktion ist 13m höher als
ihr Vorbild, der Pariser Eiffelturm. Der Turm, eigentlich
nur eine riesige Fernsehantenne, wurde nach seiner Fertigstellung
1958 zu einem Anziehungspunkt für Tokioter und Touristen,
denn die Aussichtsplattform in 150m Höhe bot einen
atemberaubenden Rundblick über die Stadt, bei klarem
Wetter bis hinüber zum Fuji und zur Boso-Halbinsel.
Doch nach und nach verlor das Stahlwerk seine Attraktivität:
Ab Mitte der 60er Jahre, die industrielle Aufholjagd Japans
hatte ihren Höhepunkt erreicht, verbarg sich die Hauptstadt
immer häufiger unter einem grauen Smogschleier. Als
die Luft im Laufe der 70er Jahre wieder sauberer wurde
- die Regierung hatte den Unternehmen äußerst
strenge Umweltschutzauflagen diktiert - sah sich der Gigant
plötzlich der Konkurrenz anderer Hochhäuser ausgesetzt,
die in luftiger Höhe nicht nur die Aussicht boten,
sondern auch zum gemütlichen Dinieren einluden (Kasumigaseki
Bldg., World Trade Center Bldg., Keio Plaza Hotel u.a.).
Da half weder der Bau einer zweiten Aussichtsplattform
in 250m Höhe, noch die Eröffnung eines Wachsfiguren-Kabinetts
und eines Aquariums im Turmgebäude. Die Tokioter wandten
ihrem Wahrzeichen den Rücken zu. Erst 1989 erlebte
der Stahlturm eine Renaissance, als man ihm ein glitzerndes
Nachtgewand verlieh. Die Beleuchtung erfreut sich besonderer
Beliebtheit bei den jüngeren Tokiotern: Es gilt als
chic, sich hier zu einem abendlichen Rendezvous zu treffen.
Mit der Rundum-Verglasung der oberen Aussichtsplattform
2002 hat der TT bei den Päarchen noch mehr Punkte
gesammelt, vor allem bei den schwindelfreien.
Sengaku-Tempel (Sengaku-ji)
Jeder Japaner kennt den Namen des Tempels im südlichen
Stadtviertel Takanawa (U-Bahnstation Sengakuji, Toei-Asakusa-Linie),
ist er doch die letzte Ruhestätte der berühmten
47 Samurai, die dem Ehrenkodex (bushido) ihr eigenes Leben
opferten und seither als Symbol unverbrüchlicher Treue
und Loyalität gelten. Ihre Heldentat lebt im berühmtesten
Kabuki-Drama (Kanadehon-chushingura) fort: Im Jahre 1700
wird Naganori Asano, Fürst von Ako, in der Burg von
Edo von seinem Gegenspieler, dem hinterlistigen Kozukenosuke
Kira, derart provoziert, daß er sein Schwert zieht.
Das jedoch ist an diesem Ort strengstens verboten und Asano
wird zur Selbstentleibung (seppuku) gezwungen. Kira dagegen
kommt ungeschoren davon. Zu Ronin (herrenlose Samurai)
geworden, sinnen die 47 Männer auf Rache, wie es der
Ehrenkodex verlangt. Kira rechnet deshalb mit einem Anschlag.
Also verstellen sich die Ronin derart, daß jeder
glauben muß, daß sie lieber ohne Ehre leben
wollen, als sich in Gefahr zu bringen. Die Verachtung der
Mitmenschen ertragen sie über zwei Jahre, dann schlagen
sie unter der Führung von Kuranosuke Oishi zu - Kira
wird in seinem Haus enthauptet. Die Ehre der Ako-Familie
ist wiederhergestellt. Der Preis, den sie für die
Treue über den Tod ihres Herrn hinaus bezahlen müssen,
ist hoch: Alle 47 werden zum Tod durch Seppuku verurteilt.
Ihre Gräber liegen auf dem Tempelfriedhof, ihre hölzernen
Statuen stehen im Tempelmuseum. Noch heute zünden
die Besucher Räucherstäbchen zu ihrem Gedenken
an.
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