Das kontroverse Heiligtum für
die Kriegstoten
Der Schrein (Yasukuni-jinja) auf dem Kudan-Hügel seht
alle Jahre wieder im Mittelpunkt einer Kontroverse. Eine
Frage sorgt dann für emsige diplomatische Aktivitäten,
ist Gegenstand zahlreicher Leitartikel und Fernsehdiskussionen,
schürt Emotionen bei Nationalkonservativen einerseits
und oppositionellen Kräften andererseits: Besucht der
amtierende Ministerpräsident den Yasukuni-Schrein am
15.August, dem Jahrestag der Kapitulation, um dort den Kriegsgefallenen
seine Ehre zu erweisen, oder läßt er es eingedenk
der internationalen und nationalen Kritik bleiben? Seit 1985,
als der Schreinbesuch von Ministerpräsident Nakasone
zu anti-japanischen Demonstrationen in Beijing (Peking) führte
und die Regierungen in Südkorea, China und Thailand
vor einem Wiederaufkeimen militaristischer Tendenzen in Japan
warnten, hatte man sich in Tokio offensichtlich auf eine
Kompromißformel geeinigt: Der Ministerpräsident
verzichtet mit „Rücksichtnahme auf die Gefühle
der asiatischen Nachbarn Japans“ auf eine Visite. Doch
2001 besuchte Regierungschef Koizumi den Schrein wieder und
entfachte die Auseinandersetzung mit den asiatischen Nachbarn
aufs Neue. Alljährlich begeben sich auch nahezu alle
Kabinettsmitglieder sowie die Spitzen der Regierungspartei
am 15.August den Kudan-Hügel hinauf.
Die Anlage
Hat man den Kudan-("Neun-Stufen"-) Hügel
erklommen - eine seit seiner Einebnung nach dem Erdbeben
von 1923 leichtere Übung - bietet sich ein eindrucksvolles
Bild: links und rechts die beiden Steinhunde, Komainu genannt,
die Schreinwächter; vorne ein riesiges, 22m hohes Stahl-Torii,
von dem aus ein breiter, von Ginkgo- und Kirschbäumen
sowie Steinlaternen gesäumter Kiesweg zu einem 13m hohen
Granit-Torii führt, dem größten seiner Art
in Japan.
Das gewaltige stählerne O-Torii, 1949 neu errichtet,
weist schon von weitem den Weg zum Schrein. Nähert man
sich ihm jedoch vom U-Bahnhof Kudanshita her, wirkt es wenig
einladend, sondern eher kalt und bedrohlich. Vielleicht hätten
die Verantwortlichen das kleine Zypressen-Torii erhalten
sollen, das während der Kriegstage den Eingang zum Schrein
zierte. Vorgänger dieser beiden Torii war ein Bronzetor,
1929 zum 50.Jahrestag der Umbenennung des Schreins in Yasukuni-jinja
erbaut und 1943 beseitigt, „um die Kriegsbemühungen
zu unterstützen“ (wie es in einer kurzen Erklärung
neben dem heutigen Stahl-Torii heißt).
Bis 1879 hieß der 1869 gegründete Schrein Shokonsha
oder auch Shokonjo. Im Jahre Meiji 12 (nach japanischer Zeitrechnung)
gab der Kaiser dem Schrein den heutigen Namen ‚friedliches
Land’. Das Kaiserreich, so der Kaiser, verdanke Friede
und soziale Sicherheit all jenen, die ihr Leben im Dienste
des Kaisers lassen.
Einer von ihnen war Omura Masujiro, dessen Denkmal sich auf
halbem Weg zwischen Stahl- und Granit-Torii erhebt. An der
Spitze der kaiserlichen Armee schlug er den letzten Widerstand
der Tokugawa-Treuen nieder. 1869, als erster Kriegsminister
mit der Reorganisation der Armee befaßt, wurde er Opfer
eines politischen Attentats.
Das Tor, das das kaiserliche Zeichen - eine Chrysantheme
mit 16 Blütenblättern - trägt, ist das Haupttor
zur Anlage. Die Haupthalle, ein meisterhaftes Beispiel der
Schreinbaukunst der Meiji-Periode, wurde 1988 für mehr
als 18Mio. DM renoviert. Der Innenhof ist besonders im April
zauberhaft, wenn die Kirschbäume ihre Sakura-Pracht
entfalten. Die No-Bühne am Ende der Anlage wird während
der dreitägigen Schreinfeste im April, Juli und Oktober
zum Leben erweckt. Nicht zu übersehen sind die weißen
Tauben in der Schreinanlage - es sollen genau 850 sein -,
Symbol des Friedens.
Ein weiteres Umherbummeln in der Anlage zerstört die
friedliche Schreinatmosphäre, die sich gerade auf den
Besucher übertragen hatte, mit einem mächtigen
Schlag: Vor der 1986 wiedereröffneten Yushukan, in der
Kriegsgerät und andere Gegenstände ausgestellt
sind, die die militärische Geschichte Japans dokumentieren,
stehen Nachbildungen von Panzern und Flugzeugabwehrkanonen,
die die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg einsetzte -
Zeugen japanischer Aggression in Asien, die den Zweiten Weltkrieg
in den pazifischen Raum hineintrug.
Shinto, Kaiser und Staat - Hintergründe einer
Kontroverse
Die Mythologie der japanischen Staatsgründung in Kurzform:
Nach shintoistischer Lehre wurde Japan von dem Götterpaar
Izanagi und Izanami geschaffen. Von einer schwebenden Himmelsbrücke
aus, so ist es in Japans frühester Chronik, dem Nihongi
(720 n.Chr.) nachzulesen, stocherten sie mit einem juwelenbesetzten
Speer im Morast unter ihnen. Als sie die Lanze herauszogen,
fielen dicke Tropfen ab, die zur ersten japanischen Insel
gerannen. Dort ließen sich die beiden nieder. Nachdem
sie erkannt hatten, daß Izanamis Körper an einer
Stelle unvollkommen schien, der Körper Izanagis aber
daselbst ganz besonders zu wachsen begann, zeugte das göttliche
Paar weitere Inseln und Gottheiten; darunter Amaterasu, die
Sonnengöttin.
Auf Amaterasu führt das japanische Kaiserhaus letztlich
seine Herkunft zurück, denn sie war, folgt man dem Nihongi,
die Ahnherrin des Stammes von Yamato. Showa-tenno Hirohito
gilt als der 124., Kaiser Akihito als der 125.Tenno in gerader
Linie. Die untrennbare Verbindung zwischen Vaterland, Volk,
Kaiserhaus und Natur, wie sie die japanische Schöpfungsgeschichte
nahelegt, mündete in die feste Überzeugung, das „auserwählte“ Volk
zu sein. Die Einführung des Staats-Shintoismus zu Beginn
der Meiji-Zeit förderte nationalistische Tendenzen,
die schließlich in aggressivem Militarismus gipfelten.
Der Staatskult konzentrierte sich auf drei heilige Stätten:
Den Ise-Schrein, Wohnsitz der Sonnengöttin Amaterasu,
den den japanischen Kriegsgefallenen geweihten Yasukuni-Schrein,
und den Meiji-Schrein, in dem der Meiji-Kaiser göttliche
Verehrung genießt.
Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der damit einhergehenden
Demokratisierung Japans durch die Alliierten wurde der Staats-Shinto
im Rahmen der verfassungsrechtlichen Trennung von Staat und
Religion abgeschafft. Die drei Schreine verloren ihren offiziellen
Status. Der Schrein-Shinto als Volksglaube blieb jedoch erhalten.
Ein offizieller Besuch des Yasukuni-Schreins von japanischen
Politikern ist daher problematisch. Zum einen kann er als
offizielle Förderung des 1945 entstaatlichten Shinto-Heiligtums
verstanden werden; seit Jahren schon fordern konservative
Kreise ein Gesetz, wonach der Schrein in Zukunft wieder aus
staatlichen Mitteln finanziert werden soll - die Anlage,
so die Begründung, erfülle die Funktion eines Grabmals
für die gefallenen Soldaten, wie es von jedem Staat
unterhalten werde. Zum anderen sehen sich die asiatischen
Nachbarn in ihrem Argwohn bestätigt, der japanische
Militarismus könne jederzeit wiedererstarken - eine
Befürchtung, die 1978 neue Nahrung bekam, als auch die
Namen der von den Alliierten als Hauptkriegsverbrecher Hingerichteten
in das Totenverzeichnis des Schreins aufgenommen wurden,
an ihrer Spitze Kriegspremier General Tojo.
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